Das Werfen hat sich weiterentwickelt.
Diese Erkenntnis mag sich weitgehend um Deutschland herum abgespielt haben, aber schon das Abschneiden der deutschen Mannschaft bei Weltmeisterschaften oder die absoluten Weiten an der Spitze sollten einen Hinweis geben, dass die Qualität zumindest in einer kleinen Gruppe von Werfern heute eine ganz andere ist als noch vor wenigen Jahren.
Andererseits sieht man aber auch, dass bei lokalen Events wie den monatlichen der Mitgliedsvereine des UKSF der Durchschnittswerfer nicht wesentlich weiter wirft als das Gros der deutschen Werfer.
Eine Besonderheit in Deutschland ist, dass schon das (Brandungs-) Angeln an sich eine Trennung von Werfen und Angeln bedingt; während in anderen Ländern die Notwendigkeit besteht, mit schwerem Gerät und großen Ködern weit zu werfen, hat sich in Deutschland durchgesetzt, den Weg immer leichteren Geschirrs und vor allem immer dünnerer Schnüre zu gehen und so ohne oder mit wenig Technik sehr weit zu werfen; der Werferreferent des DMV, Jan, begegnet diesem Trend, indem er die offene Werferklasse bei der Deutschen Meisterschaft eingeführt hat, und die Resonanz gibt ihm Recht. Potentiell könnte sich daraus sogar eine eher rein national betriebene Sportart entwickeln, denn das Interesse gerade an dieser offenen Klasse scheint mittlerweile beinahe höher zu sein als an der Turnierklasse.
Aber zurück zu den ‚Turnierwerfern‘: Gerade an der internationalen Spitze hat sich eine Elite entwickelt, die das Hobby Werfen zum Sport erhoben hat, und das ohne Einschränkung: Spezielle Trainingsmethoden, ausgereiftes spezielles Gerät, individuell angepasste Techniken, selbst ausgewählte Kleidung tragen dazu bei, dass Weiten, von denen noch vor wenigen Jahren nur geträumt werden konnte, heute beinahe als normal angesehen werden. Die Leistungen, die beinahe als Standard gelten, zeigen deutlich, dass Werfen sich zwar noch kaum offiziell, aber vom Anspruch her doch deutlich, zu einem echten Sport entwickelt hat, der als solcher auch schon weitgehend und vor allem zunehmend anerkannt ist.
Daraus resultiert auch eine Unterscheidung in der Werferschaft an sich: Es gibt wie bei den meisten anderen Sportarten auch (mindestens) zwei ‚Klassen‘. Da ist einerseits die deutlich größere Gruppe, die den Sport im Sinne des ambitionierten Breitensports betreiben. Diese gehen Woche für Woche, mal häufiger, mal seltener, auf die Wiese oder an ihre Trainingsstellen und wenn möglich zu Turnieren, um ihren Sport zu betreiben und sich zu verbessern, dies allerdings deutlich im Rahmen eines Hobbies im Sinne von ‚Ausgleich‘. Diese Gruppe macht die Mehrheit der Werferschaft aus, die Motivation ist der freizeitliche Ausgleich anstelle von Fußball oder Joggen oder Playstationspielen, oder aber, um eine fundierte Technik zu erlernen, um am Strand ein wenig weiter zu werfen, oder einfach (und das ist einer der schönsten Gründe!), weil es Spaß macht. Den Anspruch, einmal nationaler oder gar internationaler Meister zu werden, hat der ‚Breitensportler‘ nicht, das Werfen ist Selbstzweck und Freude an sich.
Davon unterscheidet sich der leistungsorientierte Sportler, der Einfachheit hier kurz Leistungssportler genannt. Dieser wirft durchaus mit einem klaren Leistungsgedanken und zumeist mit einem klaren Ziel, sei es das Anstreben eines Titels oder einer Zielmarke. Dazu bedient er sich mehr als nur dem wiederholten Werfen, er nutzt moderne Materialien, die zu ihm und seiner Technik passen, sucht körperliche Vorteile durch gezieltes Training und generell jeden Vorteil wie vorteilhafte Kleidung oder optimal vorbereitetes ‚Endtackle‘.
Natürlich gibt es Überschneidungen, oftmals Werfer, die den Sprung von einer Gruppe zur nächsten noch nicht oder nur teilweise vollzogen haben; dies teilweise kaum bewusst, weil die Erkenntnis, dass international erfolgreiches Turnierwerfen tatsächlich mittlerweile ein vollwertiger Sport ist, wie die erfolgreichsten britischen, aber vor allem die italienischen und französischen Werfer beweisen, noch nicht in allen Köpfen angekommen ist.
Auch dies ist sicherlich ein Grund, warum Deutschland international so wenig erfolgreich ist – es gibt zu wenige wirklich leistungsorientierte Werfer hierzulande, falls überhaupt. Denn eines ist seit einigen Jahren deutlich: Um erfolgreich zu werfen bedarf es mittlerweile mehr als nur Talent. Allerdings muss man auch sagen, dass es noch nie so leicht war, am Puls der Zeit zu bleiben. Insbesondere das Internet ist eine unglaublich ergiebige Quelle für alles an Wissen, was man braucht, von aktuellen Ergebnissen über Gerätevorstellungen bis hin zu Trainingsplänen, sowohl für das Werfen an sich wie auch für gezieltes Fitnesstraining.
Dieses Wissen, das man sich erarbeiten muss (was aber wie bereits erwähnt niemals so einfach war wie heutzutage), und das Umsetzen dieses Wissens, gepaart mit Engagement, geistiger Transferleistung und dem Quentchen Talent ist die Grundlage für erfolgreiches Turnierwerfen; aber diese Leistungsorientierung gibt es in dieser Form hierzulande (noch?) nicht.
Was heißt dies nun für das deutsche Turnierwerfen? Zunächst einmal nichts. Es spricht überhaupt nichts dagegen – ganz im Gegenteil, das ist eine geradezu großartige Begründung! -, den Sport aus Spaß an der Freude zu betreiben, aus Spaß an der Geselligkeit, an der Bewegung, am Selbstzweck Werfen. Millionen von Deutschen betreiben irgendwelche Freizeitvergnügen wie Fußball oder Jogging oder Skat oder Angeln nur zum Zeitvertreib und als Hobby, und das Werfen macht da keinen Unterschied, ganz im Gegenteil, es ist eine fordernde Sportart mit physischem, psychischem und technischem Anspruch!
Ein Um- oder Weiterdenken allerdings sollte einmal erfolgen, wenn das Werfen leistungsorientiert betrieben werden soll, denn noch besteht eine große Diskrepanz zwischen Anspruch und Leistung.
Demnächst: Gedanken über leistungsorientiertes Werfen, Trainingsmethoden, gemeinsame Grundlagen etc.